
Half of my heart is in Havana oh na na
Ich muss gestehen, dass ich mit gemischten Gefühlen nach Kuba gekommen bin. Zwar stand Kuba schon lange auf meiner Reisewunschliste, aber so richtige Vorfreude wollte trotzdem nicht aufkommen. Vielleicht lag es an der Aussicht, dass das Reisen hier schwieriger sein würde, da wir in der Unterkunft kein Internet haben würden und ich im Vorfeld gelesen habe, dass Selbstversorgung nahezu unmöglich sein soll. Auch könnte es Probleme beim Geld abheben geben, weshalb unbedingt empfohlen wird, Bargeld mitzubringen.

Ich war also auf einiges gefasst, als wir mitten in der Nacht in Havanna aus dem Flugzeug stiegen. Meine Laune war eh schon nicht die beste, da wir einen ziemlich anstrengenden Zwischenstopp im ziemlich kalten Toronto hatten und unser Flug statt um 20:15 Uhr Ortszeit letztendlich erst um 23:15 gestartet ist. Wir hingen also ziemlich lange am Flughafen rum, haben aber immerhin Verzehrgutscheine im Wert von 60 Dollar von der Airline erhalten (erstaunlich, wie wenig man dafür am Flughafen bekommt!) Unserem Airbnb-Gastgeber werden wir auf ewig dankbar sein, dass er uns um 4 Uhr morgens in der Wohnung erwartet hat und wir dann schließlich um 5 Uhr todmüde ins Bett fallen konnten, um pünktlich um 7:30 Uhr von den Kindern geweckt zu werden. Mit dieser ganzen Vorgeschichte hat es mich umso mehr überrascht, wie schnell Havanna mein Herz erobern konnte! Ich habe noch keine Stadt gesehen, die einerseits so abgerissen, dreckig und heruntergekommen ist und andererseits so viel Charm, Esprit und Seele hat wie diese.




Hier ist einfach alles ein bisschen anders. Man spürt den Erfindungsreichtum der habaneros an jeder Ecke – immer wieder läuft man an „Wohnzimmergeschäften“ vorbei, wo die Bewohner einfach ein kleines Tischchen mit unterschiedlichen Waren darauf – gern auch komplett zusammenhangslose Dinge wie Weichspüler, Zigaretten und Puppen – vor ihrer geöffneten Haustür postiert haben. An fast jedem Balkon flattert bunte Wäsche auf mehrere Leinen verteilt, es tummeln sich Straßenhunde (gern auch mal in alten T-Shirts) in den breiten Straßen, immer mal wieder sieht man eine ronería, in der Rum vom Fass verkauft wird, oder eine Metzgerei, wo Fleischstücke darauf warten, verkauft zu werden und sich in der Zwischenzeit ein paar Fliegen darauf tummeln (ich denke lieber nicht darüber nach, wo das Fleisch herkommt, das wir hier essen.) Das Leben spielt sich zu großen Teilen auf der Straße ab, fast jeden Tag sehen wir vom Balkon aus den Schulkindern zu, wie sie in unserer eigens dafür abgesperrten Straße Sportunterricht haben und Wettrennen machen oder mit Bällen auf leere Spülmittelflaschen zielen, wo bei uns in Deutschland irgendwelche DIN-genormten, teuren Wurfzielobjekte oder wie auch immer sie in korrektem Schulsportunterricht-Beamtendeutsch heißen, zum Einsatz kämen. Man geht kaum ein paar Meter ohne von irgendwoher Musik zu hören, zu der man sich einfach bewegen muss, die einen mitreißt. Und wenn man als Frau alleine unterwegs ist, dauert es nicht lange, bis man ein „psst“ hört und einen Luftkuss zugeworfen bekommt.




Man spürt, dass das Leben hier nicht leicht sein kann. Wir haben gelesen, dass der Durchschnittskubaner umgerechnet 25 Euro im Monat verdient. 25 Euro. Wir haben fast das Doppelte für die Taxifahrt vom Flughafen zur Unterkunft bezahlt. Überhaupt wird einem durch die Doppelwährung aus CUC (für Touristen) und Moneda Nacional oder auch CUP (für die Einheimischen) immer wieder klar, wie wohlhabend man selbst ist und wie gut man es getroffen hat, einfach nur dadurch, die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Ein CUC sind 25 CUP wert. Manche Dinge sind in CUC ausgepreist, viele andere in CUP. Die Führung durchs Kapitol kostet zum Beispiel für Ausländer 10 CUC, also ungefähr 10 Euro. Für Kubaner hingegen nur 10 CUP, also circa 0,40 Euro. Heute haben wir uns ein Eis gekauft. Preis: 1 Peso. Ich gebe der Eisverkäuferin 5 CUC für 3 Eis, sie gibt mir 2 zurück. Kurz darauf spricht uns der Kubaner an, der in der Schlange hinter uns stand, und fragt, was wir für das Eis bezahlt haben. Er schüttelt ärgerlich den Kopf über seine Landsfrau, als er uns erklärt, dass ein Eis nicht 1 CUC, sondern 1 CUP kostet und uns die Gute schön über den Tisch gezogen hat. Hätten wir nicht bemerkt, da uns 1 Euro nicht ungewöhnlich viel erscheint für ein Eis. 2,5 Eurocent hingegen sind ein echtes Schnäppchen. Aber anstatt mich zu ärgern, freue ich mich, dass der Mann – stellvertretend für viele Kubaner – das Verhalten der Eisverkäuferin nicht gutheißt.


Überhaupt sind die Kubaner ein sehr freundliches Volk. Und kinderlieb! Wir sind mit unseren zwei kleinen Blondschöpfen immer eine kleine Sensation, wenn wir durch die Straßen laufen und es vergeht kaum ein Moment in dem ich nicht irgendwo ein ¡qué lindo! (wie süß!) höre. Erstaunlicherweise drehen sich genau sooft die Männer, auch junge, nach den beiden um, wie Frauen. Das kommt in Deutschland überhaupt nicht vor. Ältere Damen geben uns auch gern einen Segen für die Kinder mit auf den Weg. Wir freuen uns immer sehr darüber, dass unsere Kinder so herzlich willkommen sind, egal wohin wir hier gehen.



Um seine Sicherheit muss man sich hier ebenfalls keine Sorgen machen. Kriminalität ist im Gegensatz zu so vielen anderen lateinamerikanischen Großstädten kein Thema in Havanna. Man wird vielleicht mal übers Ohr gehauen (s.o.), aber das war es auch schon. Nein, Moment, da ist noch was: In jeder Schlange, in der man mit Kubanern ansteht, drängeln sich mindestens drei Leute vor. Die Kubaner können einfach nicht Schlange stehen! Von allen Seiten drängen sie heran und stehen plötzlich vor einem oder rücken einfach immer einen Schritt weiter auf, als man selbst, bis sie überholt haben. Aber das ist vielleicht nicht verwunderlich in einem Land, in dem die Leute es gewohnt sind, zu schauen wo sie bleiben und sich ihr Stück des Kuchens zu sichern.



Wenn man durch Havanna spaziert, hat man immer wieder mal das Gefühl, dass die Zeit hier stehen geblieben ist. Die wunderschönen farbenfrohen Oldtimer, die das Stadtbild prägen (und die jedes Foto aufwerten) zeugen im positiven Sinne davon. Im negativen sieht man Buchhandlungen, deren Auslagen ungefähr so ansprechend sind wie trockenes Knäckebrot. Hier beschränkt sich die literarische Vielfalt gefühlt auf revolutionsbezogene Inhalte oder die Geschichte des kubanischen Kinos. Mit Buchdeckeldesign aus den 60ern. Selbst das Fernsehprogramm wirkt unglaublich altbacken. Dabei hat sich Kuba in den letzten Jahren merklich für Einflüsse von außen geöffnet. Viele Kubaner besitzen mittlerweile Handys und Smartphones, sie dürfen reisen (wenn sie es sich denn leisten können) und es gibt Internet. Um sich ins Internet einzuwählen, geht man in einen Wifipark. Dafür kauft man sich eine Internetkarte mit Usernummer und Passwort zum Freirubbeln und hat dann eine Stunde lang Internetzugang zum Preis von umgerechnet 2 Euro. Was bei einem Durchschnittseinkommen von 25 Euro natürlich auch wieder unerschwinglich ist. Wir waren in den zwei Wochen, die wir in Havanna verbracht haben, nur einmal online und ich muss sagen, ich habe es genossen, ohne Internet zu sein. Man gewöhnt sich auch ganz schnell wieder daran, zu sehen wie sich Leute in Cafés unterhalten, anstatt auf ihr Handy zu starren. Und wenn man dann mal an einem Wifipark vorbeikommt, ist es ein komischer Anblick, wie alle dort sitzen und in ihre eigene digitale Parallelwelt versunken sind.



Etwas anderes, das in meinen Augen typisch für Havanna und wahrscheinlich ganz Kuba ist, ist die Leere. Nicht auf der Straße, hier reihen sich einst wunderschöne, heute verfallene Häuser dicht an dicht. Die Leere in den Regalen. Supermärkte, wie wir sie in Deutschland haben, scheint es überhaupt nicht zu geben. Es gibt Läden mit Lebensmitteln, die trocken gelagert werden können, und manchmal auch ein, zwei Tiefkühltruhen für Fleisch. Und dort sind die Regale auch gerne teilweise leer oder wenn voll, dann mit ein und demselben Produkt in hundertfacher Menge. Obst und Gemüse kauft man auf Marktständen oder an kleinen Karren, die durch die Straßen ziehen, wobei die Gemüseauswahl wirklich sehr beschränkt ist. Wir haben bisher Zwiebeln, Radieschen, Gurken, Tomaten, Möhren, Süßkartoffeln, grüne Paprika und ein paar Kräuter gesehen (heute habe ich eine Gemüsepizza gegessen und sie war mit Erbsen aus der Dose, Paprika, Kartoffelwürfeln, Tomate, Salat und Petersilie belegt. Das sagt eigentlich alles, was man wissen muss). An Obst konnten wir Ananas, Bananen, Wassermelonen, Guaven, Papayas und Orangen sichten. Fleisch kauft man beim Fleischer, Lagerung wie oben erwähnt eher fragwürdig. Kuba ist definitiv kein Land, das man wegen der kulinarischen Vielfalt bereist.



Es ist aber nichtsdestotrotz das erste Land, das es auf dieser Reise auf unsere Unbedingt-wieder-kommen-Liste schafft.
PS: Dank großzügiger Mitwirkung des Babys wurde dieser Post in drei Sitzungen geschrieben. Ich bitte alle damit einhergehenden Merkwürdigkeiten zu entschuldigen ?