Vom echten St. Lucia, Abenteuer und Demut

Vom echten St. Lucia, Abenteuer und Demut

Ganz kurz vorweg: Dieser Post ist eigentlich schon eine Woche alt, leider komme ich jetzt erst dazu, ihn hochzuladen, weil ich in der zwischenzeit krank mit Fieber im Bett lag (haha, natürlich nicht, hab ja Kinder) und es außerdem einen höchst wichtigen Kindergeburtstag zu organisieren gab.

 

Wir wollten anders, wir haben anders bekommen! Nachdem uns unsere ersten drei Stationen – Teneriffa, Gran Canaria und Madeira – insgeheim viel zu europäisch und unexotisch waren, war Guadeloupe schon sehr viel mehr nach unserem (Abenteuer-)geschmack. Jetzt, da wir auf St. Lucia sind, können wir jedoch rückblickend sagen, dass man gemerkt hat, dass Guadeloupe zu Frankreich gehört und dementsprechend aufgestellt ist. Ich würde den Lebensstandard zwar bei weitem nicht als europäisch bezeichnen, aber im Vergleich ist St. Lucia ganz klar „ursprünglicher“. Zumindest der Ort, in dem wir sind. Wir haben uns auf den ersten Blick in die Airbnb-Anzeige für unsere Unterkunft in Laborie verliebt: Ein Haus direkt am Meer (Hoftür auf, unten Sand, oben Kokospalmen, vor uns das Meer) in einem kleinen Fischerdorf, in dem man das wahre St. Lucia kennenlernt. Und bisher sind wir nicht enttäuscht worden. Was jedoch auch zur Folge hatte, dass wir doch ein paar Tage gebraucht haben, bis wir uns eingelebt haben. Irgendwie fiel es uns dieses Mal schwerer, als die Male zuvor, wahrscheinlich, weil der Kulturschock größer war. Schon auf der 1,5-stündigen Fahrt vom Flughafen (der übrigens winzig war und wo wir vom Zollbeamten mit „take it easy“ verabschiedet wurden) zur Unterkunft ist uns aufgefallen, wie viel Natur uns umgibt und wie wenig Werbeplakate, Häuser usw. an der zweispurigen Landstraße, die sich vom Norden der Insel in den Süden schlängelt, zu finden sind. In unserem Ort ging es gleich weiter: Hier steht eine bunte Mischung von Häusern von unterschiedlichster Qualität und in verschiedenen Graden von Abgewracktheit. Von tollen Villen zu „hält-gerade-noch-Bretterbuden“ ist alles dabei. Das Leben findet zu großen Teilen draußen auf der Straße statt (Bürgersteige sucht man hier übrigens auch vergeblich), und zwar nicht nur das der Menschen, sondern auch der vielen streunenden Hunde und Katzen sowie freilaufenden Hühnern und Hähnen. Wir haben uns die letzten Tage einen Spaß daraus gemacht, uns vorzustellen, wer von unseren Freunden und Familien wohl in welchem Maße geschockt wäre, wo wir denn hier gelandet sind. Und ja, auch wir haben uns die ersten Tage oft unwohl gefühlt, als einzige Weiße durch den Ort zu laufen und haben uns gefragt, ob das jetzt wirklich so eine gute Idee war, gerade mit den Kindern. Doch je länger wir hier sind, desto mehr stellen wir fest: Doch, war es. Wir finden hier vieles, was wir uns gewünscht haben: Nette Schwätzchen mit den Nachbarn, Spielkameraden für die Große, wunderschöne Natur um uns herum, das Gefühl von Abenteuer, und am wichtigsten ein wirklicher Einblick in das Leben der Menschen hier (und damit einhergehend mal wieder ein bisschen Demut und die Erinnerung, was für einen unglaublich hohen Lebensstandard wir für ganz selbstverständlich halten).

 

Es ist verrückt zu merken, was man alles als gegeben hinnimmt, ohne sich dessen eigentlich bewusst zu sein. Am ersten Tag sind wir zum Beispiel in den hiesigen „Supermarkt“ gegangen. Tante-Emma-Laden würde es besser treffen, denn es gibt Grundnahrungsmittel wie Reis, Nudeln, Mehl, Getränke, Süßkram, Waschmittel und wirklich vieles mehr, aber eben keine Frischetheke, kein Obst und an Gemüse nur Möhren und Zwiebeln. Da ist mir erstmal aufgegangen, wie selbstverständlich es für mich geworden ist, dass ich immer nahezu alle Lebensmittel haben kann, wann immer ich gerade Lust darauf habe. Und dass zu meinen Grundnahrungsmitteln Dinge wie Fetakäse, Süßkartoffeln, Avocado und Kiwi gehören. Typisch deutsch. Wunderbar regional. Und dass ich denke, meine Familie würde einen Vitaminmangel erleiden, wenn ich nicht fünf verschiedene Obst- und Gemüsesorten vorrätig habe, weil die Frau auf ihrer Decke an der Straßenecke heute eben nur Bananen und Papayas verkauft hat. So eine ähnliche Erleuchtung hatte ich letztens im Garten meines Schwiegervaters, als ich mir die Reihen an Kohlrabi angeschaut habe und über mich selbst gestaunt habe, wie unvorstellbar es mir erschien, dass man mal mehrere Wochen hintereinander jeden Tag Kohlrabi essen könnte. Da sieht man mal, wie weit entfernt man eigentlich von der Natur lebt. Wenn es einem komisch vorkommt, mit dem auszukommen, was jetzt gerade da ist und vor Ort wächst und es so lange zu essen, wie es verfügbar ist, um danach zum nächsten überzugehen.

 

Anmerkung Stand heute: Wir haben in der Zwischenzeit festgestellt, dass wir prima auch mal mit nur zwei Obstsorten auskommen und uns außerdem der fliegende Händler unseres Vertrauens mit dem versorgt, was er so auf seinen Streifzügen gepflückt hat: Letztens waren es Papayas, Limetten und Guaven, gestern frische Mango und Stachelannone.

Und noch an anderer Stelle durfte ich mich diese Woche über mich selbst wundern. Neben uns wohnen ein paar Fischer, die jeden Morgen ihren Fang einholen und danach auf einem großen, notdürftig aus Holzlatten zusammengenagelten Tisch die Fische sortieren, wiegen und ausnehmen, um sie dann zu verkaufen. Neugierig haben wir uns dazugestellt und zugesehen, wie die vielen schönen bunten Fische aus großen Eimern auf den Tisch gekippt wurden. Sie zappelten. Und zappelten. Und zappelten. Fielen teilweise vom Tisch. Wurden schonmal gewogen, während sie noch versuchten zu atmen. Wenn ich mich nicht getäuscht habe, wurden sie teilweise sogar noch lebend aufgeschnitten. Ich fand es einfach fürchterlich und musste mich wegdrehen, weil es mir fast das Herz brach, diese wunderschönen Lebewesen so zu sehen. Trotzdem haben auch wir an diesem Tag Fisch von den Fischern gekauft. Sie haben ihn uns gleich als Filets in unsere Tupperdose gelegt und der Fisch hat einfach fantastisch geschmeckt. Und ich wundere mich über mich selbst, wie ich einerseits so mit den Fischen mitfühlen kann, sie aber andererseits ohne mit der Wimper zu zucken esse, wenn sie nicht mehr nach Fisch aussehen. Irgendwie sind das in meinem Kopf zwei getrennte Dinge. Vielleicht ist es anders, wenn man als Kind von Anfang an weiß, dass Fleisch totes Tier ist, aber sobald Fisch oder Fleisch nicht mehr als Tier identifizierbar vor mir liegen, fällt es mir unglaublich schwer, den Bezug zum lebendigen Wesen herzustellen und es als solches zu sehen. Interessant fand ich auch, dass es mir irgendwie besonders leidtat, dass die Fische so schön bunt waren. So als wäre es um bunte Fische mehr schade als um langweilige braune. Hat auch nicht geholfen, dass der Mann auf meine Frage hin, was für einen Fisch wir da eigentlich essen, antwortete: „Irgendeinen aus Findet Nemo“.

Mit diesen Eindrücken unserer ersten Woche auf St. Lucia lasse ich euch zurück und wünsche euch morgen einen guten Start in den Montag.

 

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